Handelsbeschränkungen Wieso die EU die Ukraine zu Unrecht mit Zöllen bestraft

Mecklenburg-Vorpommern, Redewisch: Ein Raupenschlepper zieht eine Egge über ein Feld und wird von einem Schwarm Möwen begleitet. Quelle: dpa

Die EU will zulasten der Ukraine einen weiteren Schritt auf ihre Bauern zugehen. Mehrere Zölle auf ukrainische Importe sollen wieder eingesetzt werden. Doch ist das gerecht?

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Die EU will zur Unterstützung europäischer Landwirte wieder Zölle auf hohe Mengen bestimmter Agrarprodukte aus der Ukraine einführen. Darauf einigten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments in der Nacht zu Mittwoch in Brüssel. Doch der Verdacht besteht, dass die EU mehr die Innenpolitik im Blick hat als die Fairness.

Konkret geht es nach Angaben des EU-Parlaments um Eier, Geflügel und Zucker sowie Mais, Hafer, Grütze und Honig. Für diese Waren soll es künftig ein gewisses Kontingent geben, das zollfrei in die EU verkauft werden darf. Wenn diese Menge erreicht ist, werden wieder Zölle fällig. Für die Einfuhr von Weizen sollen zunächst weiter keine Zölle gelten, allerdings sollen unter bestimmten Bedingungen Maßnahmen ergriffen werden können. Diese Regeln sollen nach der vorläufigen Einigung bis Juni 2025 gelten.

Die EU hatte nach dem Angriff Russlands auf sein Nachbarland Zölle ausgesetzt, um die ukrainische Wirtschaft zu stärken. Die nun erzielte Einigung muss noch formell vom Parlament und die EU-Staaten abgenickt werden.

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Mit der geplanten Wiedereinführung von Handelsbeschränkungen für bestimmte Agrarwaren aus der Ukraine ab einer bestimmten Menge geht die EU ein weiteres Mal auf Bäuerinnen und Bauern zu. Nach auch gewaltsamen Protesten der Landwirte hatte etwa die EU-Kommission bereits temporär weniger strenge Umweltauflagen ermöglicht.

Im Zuge der andauernden Bauernproteste in der EU hatten etwa besonders Landwirte aus Polen Änderungen der ukrainisch-europäischen Handelspolitik gefordert. Seit Monaten kritisieren polnische Bauern die Einfuhr günstigerer Agrarprodukte aus der Ukraine. Sie wollen etwa verhindern, dass billigeres ukrainisches Getreide auf den heimischen Markt gelangt.

Der Schein trügt

Doch nicht immer ist die Kritik auch gerechtfertigt. Dass Gerüchte sich dennoch verbreiten, hat auch der Agrarhändler BayWa zu spüren bekommen. Nachdem die Runde gemacht hatte, das Unternehmen kaufe Rohstoffe statt aus Süddeutschland nun in großem Stil aus der Ukraine, sah sich BayWa zu einem Dementi genötigt.

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Der Leiter des Getreidehandels, Jörg-Simon Immerz, macht klar: „Schon vor dem Krieg gegen die Ukraine wurde Getreide aus Osteuropa nach Süddeutschland exportiert, vor allem aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien.“ In guten Erntejahren sei diese Menge teils größer gewesen als jetzt. Er vermutet, dass diese Einfuhren fälschlicherweise für Importe aus der Ukraine gehalten werden.

Der BayWa-Experte weist jedoch auch darauf hin, dass Deutschland sehr wohl Agrarprodukte aus der Ukraine einführt, diese werden jedoch wegen der zu geringen Eigenproduktion gebraucht. Ein Beispiel sei der Mais, dieser werde in großen Mengen als Futtermittel in der Tierhaltung benötigt.

Die Masse ist nicht (allein) das Problem

Um zu verstehen, warum sich der Agrarsektor der EU gegen Importe aus dem angegriffenen Land wehrt, hilft ein Blick auf die Zahlen. Betrachtet man die Bedeutung des Landes für den EU-Handel insgesamt, ist die Ukraine ein Zwerg: Im Jahr 2022 machte der Handel mit der Ukraine im Wert von 57,8 Milliarden Euro gerade einmal ein Prozent des gesamten Warenhandels der Union aus, umgekehrt waren es über 55 Prozent. Die EU ist also viel wichtiger für die Ukraine als umgekehrt.

Doch wo liegt das Problem? Die wichtigsten Exportgüter der Ukraine in die EU sind nach EU-Angaben Getreide (16,5 Prozent der Gesamtexporte), Ölsaaten (11,7 Prozent) sowie tierische und pflanzliche Fette und Öle (10,7 Prozent). Durch die Blockade der ukrainischen Häfen blieb der Ukraine nach Ausbruch des Krieges nur eine Richtung, um diese Waren loszuwerden: gen Westen, in die EU. Das Land hat damit die USA überholt und ist nach Brasilien und dem Vereinigten Königreich zum drittgrößten EU-Lieferanten von Agrarprodukten aufgestiegen.

Neuere Zahlen für den Zeitraum Januar bis November 2023 zeigen nun, dass der nominale Wert dieser Importe im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist, der Rückgang jedoch nicht einheitlich ausfällt. Die Importe von Getreide, Zucker, Isoglukose und Geflügelfleisch sind demnach gestiegen, die von Ölsaaten, Eiweißpflanzen und pflanzlichen Ölen gesunken. Dies ist – und jetzt wird es interessant – vor allem auf die gesunkenen Importpreise zurückzuführen.

Bestimmte Agrarprodukte werden also immer billiger in den EU-Binnenmarkt eingeführt. Diese Konkurrenz ist der Landwirtschaft in der Union natürlich ein Dorn im Auge – geht sie doch seit geraumer Zeit wegen der finanziellen Belastungen auf die Straße und auf die Barrikaden.

Gut gemeint, aber nicht folgenlos

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vor zwei Jahren hatte Brüssel alle Importzölle und -quoten für landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine ausgesetzt, um dem Land wirtschaftlich zu helfen. Zuvor gab es bereits ein Handelsabkommen mit der Ukraine, die zusätzlichen Erleichterungen gingen aber deutlich darüber hinaus. Nach Angaben des für Handel zuständigen EU-Kommissars Valdis Dombrovskis hat die EU nie zuvor derartige Maßnahmen zur Handelserleichterung ergriffen.

Landwirte aus vier weiteren östlichen EU-Ländern sahen sich durch gestiegene Importe von Waren aus der Ukraine einer unverhältnismäßigen Konkurrenz ausgesetzt. Jüngst wuchs aber auch der Druck aus Frankreich. Getreideerzeuger seien durch einen Preisverfall und explodierende Kosten geschwächt, sie würden seit Monaten unter erheblichen Marktverzerrungen leiden, die durch den Zustrom von ukrainischem Getreide in die EU verursacht worden seien, teilten die französischen Agrarverbände AGPB und AGPM Mitte Februar mit.



Der Druck der Bauern auf der Straße scheint damit weitere Wirkung zu zeigen. Noch im September hatte Handelskommissar Dombrovskis mit Blick auf östliche EU-Staaten gesagt: „Wir sehen derzeit keine Marktverzerrungen in diesen fünf Mitgliedsstaaten.“ Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien und Bulgarien hatten die Einfuhren bestimmter Agrarprodukte zeitweise eigenständig beschränkt. Eigentlich ist für EU-Handelspolitik die EU-Kommission zuständig. EU-Staaten dürfen in der Regel etwa nicht eigenständig bestimmte Importe verbieten.

Aus Deutschland gab es bislang keine große Kritik an den Handelserleichterungen für die Ukraine. Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne) hatte am Dienstagmorgen in Brüssel gesagt, die Bundesregierung setze sich dafür ein, dass die Ukraine weiterhin Agrarprodukte exportieren könne.

Der Markt entscheidet über Preise

Die BayWa stützt die ursprüngliche Sicht des Handelskommissars, insbesondere mit Blick auf die Kritik aus Polen und Frankreich hieß es: „Prinzipiell sehen wir weder in Deutschland, noch in Frankreich oder Polen eine Marktstörung durch ukrainischen Weizen.“ Der Agrarhändler verweist stattdessen auf einen ganz anderen Umstand. 25 Prozent der Weizenexporte auf dem Weltmarkt kämen aus Russland, mehr als aus der EU mit 15 bis 20 Prozent. Seit Kriegsbeginn überschwemmt das Land den Weltmarkt mit seinen Produkten.

Einer Analyse des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) zufolge hat Russland seine Produktion zwischen dem Jahr 2000 und 2019 auf über 70 Millionen Tonnen Weizen mehr als verdoppelt. Neueren Angaben zufolge waren es 2022 erstmals über 100 Tonnen.

Dass davon immer mehr in der EU landet, belegen aktuelle Daten des europäischen Statistikamtes Eurostat. Demnach haben die EU-Staaten ihre Getreideimporte aus Russland in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert. Während in den Vorkriegsjahren 2020 und 2021 Getreide im Wert von knapp 120 Millionen Euro (2020) und gut 290 Millionen Euro (2021) aus Russland in die EU importiert wurde, waren es 2022 rund 325 Millionen Euro und ein Jahr später fast 440 Millionen Euro.

Für den Marktpreis bedeutet die russische Angebotsausweitung einen deutlichen Sog nach unten. Betrachtet man die Rohstoffmärkte, so befindet sich der Preisindex für Weizen – nach einem Hoch kurz nach Kriegsausbruch – auf einem klaren Abwärtstrend. Die Tonne Weizen war zuletzt im Jahr 2020 so billig wie heute.

Trotz des gesunkenen Preises verdient Russland an diesem Export, doch für viele EU-Staaten ist nicht nur der Gewinn an sich problematisch: Viele der besetzten ukrainischen Gebiete gehören zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Anbaugebieten. Mit höheren Zöllen auf Getreide aus Russland und Weißrussland will die EU-Kommission nun verhindern, dass diese Länder vom Diebstahl des ukrainischen Getreides profitieren und den Krieg gegen das Land finanzieren.

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Brisant ist der Vorschlag, weil die EU eigentlich den Import und Export von Agrarprodukten nicht beschränken wollte. In der Kommission wird nun argumentiert, dass Zölle keine Sanktionen seien. Außerdem soll sichergestellt werden, dass die Zölle nur für Importe gelten, die in der EU verbleiben. Russische Exporte in andere Regionen der Welt sollen dadurch nicht verteuert werden.

Mit Material der Nachrichtenagentur dpa.

Lesen Sie auch, wie sich die Agrarprotestler in Deutschland und Frankreich unterscheiden.

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